Ein merkwürdiges Rechenexempel
Johann Peter Hebel -
Ein Rechenexempel (1814)
Johann Peter Hebel – Original Kalendergeschichte
(5.) Merkwürdiges Rechnungsexempel (1814)
Zwei Schäfer auf dem Felde wollten miteinander ihr Abendessen verzehren, der eine hatte fünf kleine Ziegenkäse, der andere drei. Kommt zu ihnen ein dritter Mann von der Straße herüber. "Lasst mich mithalten für Geld und gute Worte!" Also aßen sie selbdritt fünf und drei, sind acht Käslein, jeder gleichviel. Hierauf dankt ihnen der Mann und schenkt ihnen acht Dublonen.
Der eine wollte nach der Anzahl seiner Käse fünf davon behalten und dem andern geben drei. Der andere sagte: "So der Herr hat uns das Geld miteinander geschenkt, also gehörem jedem vier. Was deine fünf Stück mehr wert sind, will ich dir herausbezahlen."
Da sie nicht einig werden konnten, brachten sie den Handel vor den Richter. Der geneigte Leser sinnt nach: welchem von beiden hat der Richter recht gegeben?
Antwort: Keinem von beiden, sondern er sagt: "Demnach und wie ihr mir beide vorgetragen habt, gehören dem ersten sieben Dublonen und dem andern eine, und das von Rechts wegen. Punktum."
Man meint nicht, dass der Urteilsspruch richtig sei, aber es kann sich nicht fehlen.
Denn wenn man jedes Käslein in drei gleiche Teile zerschneidet, soviel als Personen waren, so gaben dem ersten seine fünf Käslein fünfzehn Stücke, dem andern seine drei gaben neun Stücke, zusammen vierundzwanzig; davon bekam also ein jeder acht.
Folglich bekam der dritte Mann von den fünfzehn Stücken des ersten sieben. Von den neun Stücken des andern aber bekam er nur noch eines. Sieben und eins tut acht. Also gehörte auch dem ersten sieben Dublonen von Rechts wegen und dem andern nur eine.
Der geneigte Leser wird ersucht, hieraus abzunehmen: erstlich, wie man manchmal meinen kann, ein Richterspruch sei unrecht, weil man selber nicht weiß, was recht ist; zweitens, wie misslich es sei, einen Prozess anzufangen, so man auch glaubt, das augenscheinlichste Recht in den Händen zu haben.
J.P. Hebel Rechenexempel
Kalendergeschichten 1814 - Adaptiert von (5.) Merkwürdiges Rechenexempel
Hebel - Ein merkwürdiges Rechenexempel - EFSF 01-11-2011.pdf (293.29KB)
Johann Peter Hebel (1760-1826) ist einer der bedeutendsten alemannischen Mundartdichter. Seine süffisanten und spitzfindigen Geschichten erfreuen uns auch heute noch im wahrsten Sinne nachhaltig. Leider hat Hebel nur sechs „merkwürdige Rechenexempel“ veröffentlicht. Wer sich durch diese Rechenkünste verwirrt fühlt, dem sei gesagt: „Kannitverstan.“ „Grüeß di!“ Dietmar Helmer
EZB: Europäische Zentralbank http://www.ecb.europa.eu/home/html/index.en.html
IIF: Institute of International Finance www.iif.com
IAS: International Accounting Standards Board / IFRS: International Financial Reporting Standards
FASB: Financial Accounting Standards Board / US-GAAP: United States Generally Accepted Accounting Principles
EFSF: Europäische Finanz-Stabilisierungs-Fazilität / European Financial Stability Facility
Johann Peter Hebel
Geburtsort Hausen im Wiesental
Rechenexempel
Dietmar Helmer (2011) -
Hebels Rechenexempel neu interpretiert
Merkwürdige Rechenexempel (1814) –
EFSF–Euro-Hebel (2011)
Eine Hommage - frei adaptiert nach Johann Peter Hebel
Zwei Freunde, Johann und Peter, sitzen auf einer Bank in der Gallusanlage* vor der EZB und wollen gemeinsam zu später Stunde Abendessen. Der eine hatte fünf „Frankfurter Würstchen“, der andere drei dabei. Da kommt ein dritter Mann, den sie unter dem Namen Hebel kannten, aus der Bank zu ihnen herüber. „Oh, ich hatte eine lange Sitzung, damit wir den Euro retten und deshalb keine Zeit zum Einkaufen. Lasst mich teilhaben an eurem Essen. Ich gebe euch acht Euro.“ Die drei teilten die acht Frankfurter gerecht unter sich auf.
Johann wollte nach der Anzahl der Würstchen fünf Euro behalten und seinem Freund Peter die restlichen drei Euro geben. Peter widersprach heftig: „Hebel hat uns das Geld miteinander geschenkt, also gehören jedem vier. Was deine fünf Würstchen mehr wert sind, will ich dir herausbezahlen.“
Da sie sich nicht einig werden konnten, brachten sie den Handel mit einer Petition vor den internationalen Bankenverband IIF, der sich von den Verbänden der internationalen Rechnungslegung – IAS(IFRS) und FASB (US-GAAP) – beraten ließ. Wer von beiden sollte Recht bekommen?
Antwort: Keiner von beiden. Der IIF entschied, dass aufgrund der vorgelegten Zertifikate nur EIN Urteil möglich ist. Diese Meinung wurde auch durch einen Brief der Spitzenvertreter der Europäischen Währungsunion bestätigt (Verbriefung).
Nach Ansicht der höchst Sachkundigen gehören Johann sieben Euro und Peter erhält einen Euro. Eine international anerkannte Rechtsanwaltskanzlei hat dieses Urteil auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft und es ist auch mit europäischem Recht vereinbar. Eine international anerkannte Wirtschaftsprüfungskanzlei hat die Rechnung testiert. Punktum.
Denn wenn man jedes Würstchen in drei gleiche Teile zerschneidet, so hatte Johann mit seinen fünf Würstchen fünfzehn Stücke und Peter mit seinen drei kam auf neun Stücke. Zusammen waren es vierundzwanzig Stücke und davon erhielt jeder acht.
Folglich bekam Hebel von den fünfzehn Stücken des Johann sieben. Von den neun Stücken des Peter aber bekam er noch eines. Sieben und eins ergibt acht Stücke. Also gehörten Johann sieben Euro von Rechnungslegung wegen und Peter nur ein Euro.
Der geneigte Leser wird ersucht zu überlegen: Auch bei mutmaßlich noch soviel Sachverstand der Bankenvertreter und Politiker sollte man bei der Rettung des Euro und deren Verteilungsmechanismen immer kritisch bleiben und versuchen, selbst zu einem Urteil zu kommen. Wir sehen, dass mancher Hebel zu seltsamen Ergebnissen führen kann.
Zweitens werden die Schwierigkeiten noch größer, wenn man einen (EFSF-)Hebel-Prozess beginnt, der die grundlegenden Fragen zu der so genannten „Eurokrise“ nicht stellt und die Problemlöser darauf beharren, Recht zu haben – und dies alternativlos.
*Gallusanlage: Der sei ein rechter Schelm, der sich fragt, warum die EZB ausgerechnet am ehemaligen Galgentor der Stadt Frankfurt ihren Sitz einzunehmen hatte. Hat man möglicherweise bereits zu Beginn der Europäischen Währungsunion symbolisch anzudeuten versucht, dass der EURO sich am eigenen Schopfe aufzuhängen, wie einst gar Münchhausen sich mit dem eigenen Zopf aus dem Wasser zu ziehen versucht haben soll? Nehmen wir es mit Galgenhumor.
Exkurs:
Am 18.03.2015 ist die EZB in die Sonnemannstrasse in Frankfurt umgezogen. Die Geldpolitik und Wirtschaftspolitik der EZB wurde dadurch aber leider nicht erleuchtet. Ach, ich habe nicht daran gedacht, dass die EZB völlig unabhängig ist und keine Wirtschaftspolitik betreibt, sie nur der Stabilität des EURO verpflichtet. Oder doch nicht?